ArbG Berlin, Urt. v. 04.03.2015 – 54 Ca 14420/14 –
Arbeitgeber dürfen ein zusätzliches Urlaubsgeld und eine jährliche Sonderzahlung nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen. Eine Änderungskündigung, mit der eine derartige Anrechnung erreicht werden soll, ist unwirksam.
Die Entscheidung
Die klagende Arbeitnehmerin war bei der Arbeitgeberin gegen eine Grundvergütung von 6,44 EUR pro Stunde zuzüglich Leistungszulage und Schichtzuschlägen beschäftigt. Zusätzlich erhielt sie ein Urlaubsgeld sowie eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis und bot ihr gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von 8,50 EUR bei Wegfall der Leistungszulage, Kdes zusätzlichen Urlaubsgeldes und der Jahressonderzahlung fortzusetzen.
Mit ihrer Klage gegen die Änderungskündigung hatte die Arbeitnehmerin Erfolg; das Arbeitsgericht Berlin erachtete diese als unwirksam. Der gesetzliche Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten. Der Arbeitgeber dürfe daher Leistungen, die – wie das zusätzliche
Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung – nicht diesem Zweck dienten, nicht auf den Mindestlohn anrechnen. Eine Änderungskündigung, mit der diese unzulässige Anrechnung erreicht werden solle, sei unzulässig.
Gegen das Urteil wurde Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az: 8 Sa 677/15) eingelegt.
Bedeutung für die Praxis
Das zum Jahresanfang in Kraft getretene Mindestlohngesetzes (MiLoG) wirft in der Praxis eine Reihe von Rechtsfragen auf, deren Beantwortung der Gesetzgeber offensichtlich den Arbeitsgerichten überlassen hat. Die – soweit ersichtlich – erste Entscheidung zum Thema Mindestlohn kommt nun vom Arbeitsgerichts Berlin und betrifft gleich eine der zentralen Fragen: Welche Vergütungsbestandteile dürfen neben dem Festgehalt bzw. festen Stundenlohn auf die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs angerechnet werden? Das Gesetz enthält hierzu keine ausdrücklichen Anhaltspunkte; es schreibt lediglich vor, dass der Mindestlohn von 8,50 EUR brutto „je Zeitstunde“ (§ 1 Abs. 2 MiLoG) zu zahlen ist. Im Ausgangspunkt kann unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH und BAG zu vergleichbaren Sachverhalten (tariflicher Mindestlohn, Arbeitnehmerentsenderichtlinie) wohl der Schluss gezogen werden, dass jedenfalls sämtliche Vergütungsbestandteile, die der Arbeitgeber als Gegenleistung für die normale Arbeitsleistung zahlt, auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Zulagen und Zuschläge, die besondere Umstände der Arbeitserbringung oder ein Mehr an Arbeitsleistung ausgleichen sollen (bspw. Überstunden und Überstundenzuschläge, Nachtarbeits- und Sonntagszuschläge, Erschwerniszulagen), sind danach hingegen nicht berücksichtigungsfähig. Voraussetzung einer Anrechnung ist nach bisherigem Verständnis überdies, dass die entsprechenden Vergütungsbestandteile auch innerhalb der kurzen Fälligkeit des § 2 Abs. 1 MiLoG („spätestens am letzten Bankarbeitstag des Folgemonats“) gezahlt werden. Eine Umlegung von jährlichen Sonderzahlungen auf einzelne Monate und eine damit einhergehende Anrechnung auf den Mindestlohn scheidet danach grundsätzlich aus. Zulässig dürfte es jedoch sein, solche Einmalzahlungen zumindest in dem Monat ihrer Auszahlung in die Berechnung des Mindestlohns einzubeziehen. Offen ist indes, ob dies auch für Gratifikationen, wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, die regelmäßig zur Belohnung der Betriebstreue und nicht für eine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gezahlt werden, gilt.
Der derzeit nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, ob sie sich nur auf Sonderzahlungen mit Betriebstreuecharakter oder sämtliche Einmalzahlungen bezieht und ob die Fälligkeit gem. § 2 Abs. 1 MiLoG hier eine Rolle gespielt hat. Die Begründung der Entscheidung ist daher mit Spannung zu erwarten.
Arbeitgebern ist aufgrund der derzeit noch unklaren Rechtslage – insbesondere mit Blick auf die erheblichen Bußgelder, die im Falle eines Verstoßes gegen das MiLoG drohen – Vorsicht bei der Anrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn anzuraten. Rechtsrisiken können ausgeschlossen werden, wenn der Mindeststundenlohn ohne Einbeziehung jeglicher Zulagen oder Sonderzahlungen erreicht wird. Andere Gestaltungsvarianten sollten vorab mit juristischer Unterstützung geprüft werden.