OLG Düsseldorf, Urt. vom 29.7.2015 – 7 Sa 313/15 –
Vereinbaren die Parteien in einem Formulararbeitsvertrag einen Arbeitszeitumfang nach betrieblichem Bedarf (Abrufarbeit) ohne hierbei eine Mindeststundenanzahl zu vereinbaren und ist der Arbeitnehmer anschließend durchschnittlich in Vollzeit tätig, so führt dies nach Ansicht des LAG Düsseldorf weder zu der Fiktion des § 12 Abs.1 S. 3 TzBfG, wonach 10 Wochenstunden als vereinbart gelten, noch automatisch zur Annahme eines Vollzeitarbeitsverhältnisses.
Die Entscheidung
Die Parteien haben ein Arbeitsverhältnis geschlossen. Im Formulararbeitsvertrag heißt es:
„Wegen des schwankenden und nicht vorhersehbaren Umfangs der Arbeit richten sich Umfang und Lage Ihrer Arbeitszeit nach dem jeweiligen Arbeitsanfall (§ 4 Abs. 1
Beschäftigungsförderungsgesetz). Die Lage der Arbeitszeit werden wir Ihnen anhand eines Einsatzplanes bekannt geben.“
Die tatsächliche monatliche Arbeitszeit von 2011 bis 2014 schwankte zwischen 130 und 213,5 Stunden. Insgesamt errechnete sich eine (unstreitige) – bezogen auf den Jahresdurchschnitt – durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 41,74 Stunden für den gesamten Zeitraum. Die monatliche Vergütung des Klägers entsprach den im jeweiligen Monat geleisteten Stunden.
Der Arbeitnehmer klagte schließlich auf Feststellung, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, ihn dauerhaft zu dieser durchschnittlichen Wochenarbeitszeit zu beschäftigen. Die Abrufarbeit-Klausel sei unwirksam. Und durch den entsprechenden jahrelangen Arbeitseinsatz sei diese Arbeitszeit nunmehr Vertragsbestandteil geworden. Der Beklagte Arbeitgeber beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger könne allenfalls entsprechend § 12 Absatz 1 S. 3 TzBfG eine wöchentliche Beschäftigung von 10 Stunden verlangen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in erster Instanz teilweise entsprochen. Es hat festgestellt, dass die Abrufabrede unwirksam sei und dass die Beklagte deshalb verpflichtet sei, den Kläger in einem Umfang von wöchentlich mindestens 33,4 Stunden zu beschäftigen. Dies entspreche bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,74 Stunden der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abrufarbeit, wonach der flexible Anteil der Arbeitszeit auf 25 % begrenz ist. Ein Vollzeitarbeitsverhältnis sei allerdings nicht zustande gekommen. Ein solches haben die Parteien mutmaßlich nicht abschließen wollen, trotz der nach Ansicht des Gerichts formal unwirksamen Abrufabrede. Allein der jahrelange tatsächliche Arbeitseinsatz von durchschnittlich nahezu 42 Wochenstunden (gesehen auf den Jahresdurchschnitt) begründe keine entsprechende Vertragskonkretisierung, zumal die Arbeitszeiten stak schwankten. Hierzu bedürfe es weiterer Erklärungen oder Handlungen der Parteien. Andererseits werde aber auch die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen der Parteien bei Vertragsschluss in keiner Weise gerecht. Dies zeige der sehr viel höhere Arbeitseinsatz des Klägers.
Die Berufung des Klägers wies das LAG Düsseldorf zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich. Da weder eine gesetzliche oder tarifliche Arbeitszeit existierte, musste die von den Parteien offengelassene vertragliche Arbeitszeit durch ergänzende Vertragsauslegung ermittelt werden, wie es das Arbeitsgericht zutreffen getan hat. Hierbei könne nicht angenommen werden, dass ein Vollzeitarbeitsverhältnis gewollt war. Zu groß seien die Schwankungen bei den Arbeitszeiten gewesen. Es ist aber deutlich, dass der Kläger regelmäßig jedenfalls bis zu einem Umfang einer Vollzeittätigkeit beschäftigt werden können sollte, weshalb eine Mindestarbeitszeit von wöchentlich 33,4 Stunden (im Jahresdurchschnitt) Interessengerecht ist und dem mutmaßlichen Willen der Parteien entsprechen würde.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf verdeutlicht, dass im Falle gewollter Abrufarbeit eine wöchentliche Mindestarbeitszeit und auch eine täglich Mindestarbeitszeit unbedingt vereinbart werden sollten. Wenn dies unterbleibt darf der Arbeitgeber nicht darauf spekulieren, den Arbeitnehmer bei fehelendem Arbeitsbedarf nur in einem Umfang von 10 Wochenstunden beschäftigen und bezahlen zu müssen. § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG greift nämlich nur in den Fällen ein, in denen keine weiteren Anhaltspunkte für die Ermittlung einer tatsächlichen Sockelarbeitszeit bestehen.
Zwar lehnt das LAG Düsseldorf hier zu Gunsten des Arbeitgebers eine Vertragskonkretisierung auf die im Durchschnitt geleisteten 41,74 Stunden als Mindestarbeitszeit ab. Zu beachten ist jedoch, dass das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung im Falle von Abrufarbeit ohne vereinbarte Mindestarbeitszeit (mit allerdings weniger schwankenden Arbeitszeiten als in dem hier entschiedenen Fall) die tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit als Sockelarbeitszeit, also als Mindestarbeitszeit festgelegt hat (BAG, Urteil vom 7. 12. 2005 – 5 AZR 535/04; so auch LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.04.2011 – 13 Sa 1393/10).
Eine Mindestarbeitszeit sollte auch schon deshalb vereinbart werden, da der Arbeitgeber ansonsten gar nicht rechtlich in der Lage ist, den Arbeitnehmer kraft seines Direktionsrechts zur Arbeit zu bestimmen. Auch ist dringend anzuraten, in einem Bedarfsarbeistverhältnis kein festes Monatsgehalt zu zahlen, sondern konsequent nach tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abzurechnen. Denn ein verstetigtes Einkommen ist auch nach Ansicht des BAG ein Indiz für eine feste vereinbarte (Mindest-) Arbeitszeit.