LAG Hamburg, Urt. v. 20.2.2018 – 4 Sa 69/17 –
Eine Verfallklausel im Arbeitsvertrag, der nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes abgeschlossen oder geändert wurde, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden müssen, um nicht zu verfallen, ist nach Ansicht der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg unwirksam, wenn Ansprüche auf den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausgenommen sind.
Die Entscheidung
Der Kläger begehrt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Urlaubsabgeltung für während des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub. Der Kläger war bei der Beklagten in 2016 einige Monate als Hausmeister beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist eine Verfallklausel enthalten, wonach alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen einer Ausschlussfrist von 3 Monaten gegenüber der anderen Partei schriftlich geltend zu machen sind. Anderenfalls verfallen sie. Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz nimmt die Klausel nicht ausdrücklich aus. Der Kläger behauptet, den Abgeltungsanspruch rechtzeitig per SMS gegenüber der Beklagten geltend gemacht zu haben, worauf diese einwendet, dass die Geltendmachung per SMS nicht dem vertraglichen Schriftformerfordernis Genüge und daher der Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufgrund der Verfallklausel im Arbeitsvertrag untergegangen sei.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg bestätigt die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts und spricht dem Kläger einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis sei intransparent, da sie Ansprüche auf den Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz nicht ausdrücklich ausnimmt. Der durchschnittliche Arbeitnehmer müsse die Klausel so verstehen, so das LAG Hamburg, dass entgegen § 3 S. 1 MiLoG, wonach Vereinbarungen, die den gesetzlichen Mindestlohn ausschließen „insoweit“ unwirksam sind, auch Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn verfallen, wenn sie nicht fristgemäß geltend gemacht werden. Diese Unklarheit führe zur Unwirksamkeit der Klausel, da sie den Arbeitnehmer gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unangemessen benachteilige. Auf die Frage, ob der Kläger seinen Anspruch rechtzeitig per SMS geltend gemacht hat, komme es somit nicht mehr an.
Bedeutung für die Praxis
Ob eine Verfallklausel Lohnansprüche nach dem Mindestlohngesetz zur Wahrung ihrer Wirksamkeit ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausnehmen müsse, ist seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes in der juristischen Literatur und der Arbeitsgerichtsbarkeit umstritten. Wie die 4. Kammer des LAG Hamburg hat zuvor bereits das Arbeitsgericht Berlin die Auffassung vertreten, dass eine Verfallklausel, die den Mindestlohn nicht aus ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, gegen das Transparenzgebot verstoße und damit unwirksam sei (ArbG Berlin, Urteil vom 06.11.2015 – 28 Ca 9517/15). Anderer Auffassung sind beispielsweise das LAG Nürnberg (LAG Nürnberg, Urteil vom 9.5.2017 – 7 Sa 560/16) und die 33. Kammer des LAG Hamburg (LAG Hamburg, Urteil vom 31.01.2018 – 33 Sa 17/17), die aufgrund der Formulierung in § 3 S. 1 MiLoG „insoweit unwirksam“ praktisch nur von einer teilweisen Unwirksamkeit einer Verfallklausel aus gehen, nämlich insoweit, wie sie die Mindestlohnansprüche nicht ausdrücklich ausnimmt. Die 4. Kammer des LAG Hamburg betont, dass diese Sichtweise aber auf eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel, also auf die Rückführung des Inhalts einer Klausel auf das noch zulässige Maß hinausliefe, die der Bundesgerichtshof und seit jüngerer Zeit auch das Bundesarbeitsgericht in anderen Fällen allerdings konsequent ablehnen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich zu der Frage, über die die 4. Kammer des LAG Hamburg entschieden hat, noch nicht positioniert (zuletzt ausdrücklich offengelassen, BAG, Urteil vom 17.10.2017 – 9 AZR 80/17). Um auf der sicheren Seite zu sein, kann allerdings nur dazu geraten werden, in arbeitsvertraglichen Verfallklauseln Mindestlohnansprüche ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich auszunehmen.