BAG, Urteil vom 24.8.2016 – 5 AZR 703/15 –
Nimmt eine arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel in Form einer allgemeinen Vertragsbedingung einen Branchen-Mindestlohn (hier: Pflege) nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich aus, so ist diese Klausel unwirksam und kann auch nicht im Übrigen aufrecht erhalten werden. Diese Rechtsprechung kann Auswirkungen auch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz haben.
Die Entscheidung
Die Klägerin war von Juli bis Dezember 2013 bei der Beklagten als Pflegekraft beschäftigt. Die letzten Wochen des Arbeitsverhältnisses war die Klägerin krankgeschrieben, wobei der Arbeitgeber trotz vorliegender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Entgeltfortzahlung leistete. Erst im Juni 2014 klagte die Arbeitnehmerin vor dem Arbeitsgericht auf Entgeltfortzahlung. Der Arbeitgeber berief sich im Verfahren auch auf die im Arbeitsvertrag enthaltene zweistufige allgemeine Ausschlussklausel. Nach dieser allgemeinen Vertragsbedingung müssen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten schriftlich geltend gemacht und im Falle ihrer Ablehnung oder bei ausbleibender Reaktion klageweise ebenfalls binnen 3 weiterer Monate eingeklagt werden. Anderenfalls verfallen sie.
Im Prozess erhob die Beklagte unter anderem den Einwand, die Entgeltfortzahlungsansprüche der Klägerin seien nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und entsprechend der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen verfallen. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und sprach der Klägerin die Entgeltfortzahlung zu. Die Entgeltfortzahlungsansprüche mussten nicht innerhalb der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen geltend gemacht werden. Die Ausschlussklausel hielt es für unwirksam. Die Berufung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt blieb erfolglos, ebenso die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Rechtsauffassung der Vorinstanzen zur Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel. Sie verstoße gegen § 9 S. 3 AentG, der lautet:
„Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs können ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6 oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden.“
Die Ausschlussklausel könne zudem nicht für andere Ansprüche aufrechterhalten werden, da in diesem Fall die Klausel für den Empfänger nicht mehr hinreichend klar und verständlich wäre und somit gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstieße.
Bedeutung für die Praxis
Das Bundesarbeitsgericht stellt hier für einen Branchen-Mindestlohn klar, was nach umstrittener aber richtiger Ansicht auch für den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn nach § 3 S. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt: Eine Ausschluss- oder Verfallklausel, die den Mindestlohn nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich herausnimmt, ist insgesamt unwirksam.
Arbeitsvertragliche und tarifliche Ausschlussfristen bilden eine von den Arbeitsgerichten geduldete Besonderheit des Arbeitsrechts. Sie verkürzen die gesetzliche Verjährung ganz erheblich und sollen so schnell Rechtsklarheit zwischen den Parteien schaffen. Die Parteien können aber nicht über alle erdenklichen Ansprüche mittels einer solchen Klausel frei disponieren. Beispielsweise werden Ansprüche aus vorsätzlicher Haftung nicht erfasst. Dabei war es bislang nach umstrittener Ansicht des Bundesarbeitsgerichts aber unschädlich, wenn die Ausschlussklausel die den Parteien gesetzlich zur Disposition entzogenen Ansprüche nicht ausdrücklich ausnahm. Das Bundesarbeitsgericht argumentiert bislang in solchen Fällen damit, dass die Parteien mit einer universal formulierten Ausschlussklausel gar nicht über solche Ansprüche verfügen wollten, über die sie gar nicht verfügen durften und erhält so die Wirksamkeit der eigentlich viel zu weit gefassten Klauseln aufrecht.
Ob das Bundesarbeitsgericht nach seinem hier vorgestellten Urteil diesen Weg der geltungserhaltenden Auslegung (*Formulierung der Redaktion) von zu weit gefassten Ausschlussklauseln weiter beschreiten wird oder zumindest auch für den gesetzlichen Mindestlohn zukünftig einen anderen Weg gehen wird, bleibt abzuwarten. Da die hier besprochene Entscheidung bislang aber nur als Presserklärung vorliegt, bleibt die Urteilsbegründung unbedingt abzuwarten. Hieraus werden sich vielleicht weitere wichtige Erkenntnisse für eine Prognose über die zukünftige Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage der Wirksamkeit universal gefasster Ausschlussklauseln herleiten lassen.